Grablegung im Vorhof des PalastsGroteske Anschaulichkeit in den vorletzten Szenen von Faust II
I. "Nur grotesk"?
Grosser Vorhof des Palasts" und "Grablegung," die beiden kurzen Szenen zwischen Fausts Erblindung in "Mitternacht" und dem erstaunlichen Schlussbild "Bergschluchten" werden von Kommentatoren und Interpreten oft recht stiefmütterlich behandelt, so, als handle es sich um eine bloße, nicht weiter ernst zu nehmende Überleitung, und wenig Interesse besteht offenbar an den Fragen, die sich bei einer derartigen Abwertung aufdrängen würden: weshalb es denn an dieser Stelle einer Überleitung bedürfe und in welcher Weise die Überleitung zwischen den Teilen vermittle. Zumal wenn die Bedeutung oder die Funktion dieser beiden Szenen explizit oder implizit im Kontext der vorangehenden Szenen und der Schlussszene beschrieben wird, in der es dann, wie Emil Staiger und Albrecht Schöne schreiben, um "Höheres und Höchstes"1 gehe, klingen die Charakterisierungen auch in neueren Interpretationen wenig begeistert oder sogar enttäuscht. Von einem "Intermezzo" ist in Bezug auf "Grablegung" die Rede, von einer "Burleske," von einer "Posse" und von einem "Schwank" und sogar von einem "Satyrspiel,"2 obgleich dieses doch immer den Abschluss der Spiele bildete. Ob damit wohl angedeutet werden soll, dass das eigentliche Faust-Spiel hier ende und dass die Szene "Bergschluchten" so recht nicht dazugehöre? Bekanntlich hat schon Konrad Burdach diese Auffassung vertreten,3 und die Art und Weise mancher Entschlüsselungsversuche von "Bergschluchten" legt dies nahe.4
Als grotesk-komisch werden die Figuren bezeichnet,5 und von Mephisto heißt es, er sei hier, in seiner in der Tat einigermaßen überraschenden Perversion, "nur grotesk."6 Grotesk? Gewiss—aber warum nur hier und warum nur grotesk? Könnte es sein, dass sich hinter diesem "nur," das in den Kommentaren zu "Großer Vorhof des Palasts" und "Grablegung" oft auch dort mitschwingt, wo es nicht explizit geäußert wird, die Irritation darüber verbirgt, dass der große Klassiker Goethe, sich in seinem größten Werk über alle Erwartungen hinwegsetzt, die man mit den Begriffen des Klassischen oder des Klassizistischen zu verbinden pflegt? Theoretisch hat Goethe zwar noch 1802 festgehalten, dass "wahre Kunst" nur durch Stücke "von rein gesonderten Gattungen" gefördert werde;7 seinen Faust wird man aber eher mit jenem "gout baroc" in Verbindung bringen, von dem Justus Möser meinte, [End Page 73] er "erforder[e] … unähnliche Teile."8 Und tatsächlich hat Goethe selbst schon in den neunziger Jahren die Komposition von Faust als "barbarisch" bezeichnet9 und damit deutlich gemacht, dass er sich bei diesem Werk nicht klassizistischen Regeln unterwerfen wollte.
Die folgende Betrachtung nimmt zwar nicht den Begriff des Barbarischen, wohl aber den des Grotesken auf—es ließe sich wohl das ganze Spektrum des derzeitigen Gebrauchs von 'grotesk' und 'Groteske' mit Beispielen aus diesen Szenen illustrieren—, keineswegs in der Absicht, die Szenen abzuwerten, sondern in der Überzeugung, dass die Begriffe des Grotesken und der Groteske, die wie das Epitheton "barbarisch" dezidiert das Nicht-Klassische oder auch das Gegen-Klassische bezeichnen, eine heuristische Hilfe sein können, bisher wenig beachtete Aspekte von "Grosser Vorhof" und "Grablegung" zu fassen und die für diese Szenen maßgebende antiklassische Poetologie einzukreisen. Freilich dominiert das Groteske auch in wichtigen anderen Teilen der Tragödie—insbesondere in den beiden Walpurgisnacht-Szenen, von denen die zweite schon im Titel als grotesk ausgewiesen wird. Aber die Szenen "Grosser Vorhof" und "Grablegung"—und übrigens auch die Szene "Bergschluchten," die hier nicht Gegenstand der Untersuchung ist—verdanken ihre Prägung einer Darstellungstechnik, die nicht nur auf Intertextualität, sondern, deutlicher als anderswo in der Tragödie, auch und vor allem auf Intermedialität ausgerichtet ist: Zur Groteske werden die letzten Szenen vor allem durch ein auf die bildende Kunst ausgerichtetes Zitierverfahren, das erinnernd visuelle Erfahrungen ins kontrastiv konzipierte Spiel bringt.
II. Groteske Figuren
Augenfällig grotesk10 und in der bildenden Kunst vielfach vorgeformt sind zweifellos die von Mephisto herbeizitierten Teufelsscharen. Nicht nur auf dem Fresco Il Trionfo della Morte im Campo Santo di Pisa, dessen Wiedergabe durch den Kupferstecher Carlo Lasinio11 allgemein als Vorbild für diese Szene gilt, sondern auch in vielen andern Gemälden aus dem Mittelalter, der Renaissance und dem Barock, insbesondere in Darstellungen des Jüngsten Gerichts, werden Teufel zur Erinnerung an ihre Abstammung als geflügelte Wesen dargestellt, oft gehörnt und geschwänzt, mit fratzenhaften Gesichtern, halbwegs menschlichen Oberkörpern, mit Bocksbeinen und Hufen oder mit Krallenfüßen. Besonders furchterregend-einprägsame groteske Teufelsgestalten finden sich beispielsweise in Werken von Hieronymus Bosch und Albrecht Dürer. Dass die Teufel in "Grablegung" als ebensolche fledermausartig-groteske Figuren und also als Zitate aus der bildenden Kunst zu inszenieren sind, bestätigt die (Bild-)Beschreibung, die Mephisto von ihnen gibt: Es sind "wanstige Schuften mit … Feuerbacken" (11656)12 und mit "[k]lotzartige[n], kurze[n], nie bewegte[n] Nacken" (11658), mit scharfen "Klauen" ausgestattete, "flügelmännische Riesen" (11670, 11672).13
Der Bestimmung des Grotesken—nicht so sehr bei Kayser, wohl aber bei Michail Bachtin, der den Akzent auf drastische Körperlichkeit legt14—entspricht übrigens auch die Geschichte, die Mephisto schon im "Hochgebirg" von seinen Teufelsscharen zum Besten gegeben hat: Den Wirkungen ihrer Gas produzierenden Körperfunktionen sei es zuzuschreiben, dass nun das [End Page 74] "Unterste ins Oberste" gekehrt sei (10075–94). Bezeichnenderweise ist das Pusten der "Püstriche" (11716) auch in "Grablegung" deren einzige Tätigkeit, und auch hier blasen sie zu "gewaltsam," wie wir aus dem Munde Mephistos erfahren:
Fürwahr ihr habt zu stark geblasen;Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt.
(11719–20)
Mephisto selbst, der im 3. Akt als Phorkyas geradezu zum Inbegriff einer grotesken Figur wird, muss zu Beginn der Szene "Grosser Vorhof" in der Rolle "als Aufseher" (vor 11511) nicht als groteske Gestalt in Erscheinung treten;15 grotesk sind aber immerhin seine "phantastisch-flügelmännische[n] Beschwörungsgebärden" (vor 11636), weil er, der hier nicht geflügelte, mit seinen Armen das Flattern seiner "flügelmännischen" Gefolgschaft nachahmt. Dabei fällt die Bühnenanweisung selbst ins Groteske, insofern sie durchaus Heterogenes in einen Begriff zusammenpresst. Das ungewohnte, durch die Wortverbindung mit "phantastisch" gesteigerte Epitheton ruft nämlich einerseits den zu Goethes Zeit üblichen Gebrauch von "Flügelmann" auf, als dem, nach dem man sich (aus-)richtet, der eine Bewegung anführt oder den Ton angibt,16 anderseits aber bezieht es sich natürlich auf Mephistos wesensmäßige Zugehörigkeit zu denen, die er selbst "flügelmännisch" nennt, zu den geflügelten Teufelsscharen. Grotesk ist sodann Mephistos Verhalten in der Auseinandersetzung mit den Engeln bzw. das, was ihm beim Kampf mit den Engeln widerfährt, nicht nur, weil mit Sexualität und Krankheit die Körperlichkeit, durchaus im Sinne Bachtins, ins Spiel kommt—vom brennenden "Kopf," vom "Herzen," von der "Leber" (11753) und von der beschädigten "Haut" (11814) ist die Rede—, sondern auch, weil Goethe hier, wie an zahlreichen anderen Stellen des Dramas, verschiedene Facetten Mephistos gegeneinander ausspielt. Dass der Teufel sich in (männliche) Engel verliebt, ist an sich schon eine durchaus komische Vorstellung. Überdies entsteht hier aber ein grotesker Kontrast zwischen dem Mephisto, den wir als Allegorie begreifen, und der mehr oder weniger menschlich gezeichneten Figur, die der abstrakten Allegorie eine hier sich verselbständigende Körperlichkeit verleiht.17
Um groteske Gestalten und um einen grotesken Auftritt handelt es sich auch bei den Lemuren. Das machen schon die Worte Mephistos, die die Szenenfolge eröffnen, deutlich:
Herbei herbei! Herein herein!Ihr schlotternden Lemuren,Aus Ligamenten und GebeinGeflickte Halbnaturen.
(11511–14)
Die Verse—die mit der Ausbuchtung in medizinische Terminologie selbst zu grotesker Heteronomie tendieren18—erinnern, wie es die meisten Kommentare festhalten, an Goethes Bildbeschreibung der "traurigen Lemuren" in seinem Aufsatz Der Tänzerin Grab. In "der Region der Halbvernichtung," heiß es da, bleiben diesen "Halbgespenstern" nur "noch so viel Muskeln und Sehnen …, dass sie sich kümmerlich bewegen können, damit sie nicht ganz als durchsichtige Gerippe erscheinen."19 Goethe spricht nicht von einer [End Page 75] Groteske—soweit ich sehe, hat er die Begriffe 'grotesk' und 'Groteske' kaum je gebraucht—, wohl aber ist von der Komik des Hässlichen die Rede, vom Fratzenhaften und von einer "lemurischen Posse."
Mit dem Wesen und der Gestalt der Lemuren war Goethe freilich nicht erst seit der Beschäftigung mit den Zeichnungen der Grabreliefs von Cumae vertraut. Schon Lessing hatte in seiner Schrift Wie die Alten den Tod gebildet die Lemuren erwähnt und sie, Seneca zitierend, als "nudis ossibus cohaerentium," als Gerippe und Skelett beschrieben.20 Ausführlich werden die Lemuren auch schon von Ludwig Lavater (1527–86), dem Archidiakon und Pfarrer am Zürcher Großmünster, kommentiert.21 Lavaters vielfach aufgelegtes und im 17. Jahrhundert in mehrere Sprachen übersetztes, weithin bekanntes Geisterbuch De Spectris, das sich auch in der Bibliothek von Goethes Vater fand, ist im Zusammenhang mit Faust auch deshalb beachtenswert, weil in der ursprünglichen lateinischen Version nicht nur die Lemuren beschrieben werden, sondern auch einige jener sonst wenig bekannten Gestalten, die Goethe in der "Klassischen Walpurgisnacht" auftreten lässt, die Telchinen beispielsweise, die Lamien und die Empusa. Wichtigste Quelle, nicht nur für Lavater, sondern auch für Hederichs ausführliche Beschreibung der Lemuren, war Ovid, der im fünften Buch seiner Fasti ausführlich den Ritus beschreibt, mit dem die Lemuren gebannt werden sollten. Goethe war, wie man weiß, mit Schriften Ovids—wohl auch mit den Fasti—wohl vertraut.
Die Lemuren sind nicht, wie Emil Staiger meint, aus dem Orkus erstanden,22 und sie sind nicht, wie Dorothea Hölscher-Lohmeyer kommentiert, "antike Grabgeister."23 Es handelt sich vielmehr um ungute Hausgeister, Geister von Verstorbenen, die noch nicht zur Ruhe gekommen sind. Als solche sind sie gewissermaßen weitläufig mit Mephisto verwandt, der sie denn auch zu seinem Dienst berufen kann. Und insofern sie unmittelbar vor Fausts Tod zu ihrer geräuschvollen Arbeit antreten, wird man sich der Erläuterungen Ovids erinnern, wonach man die Lemuren fürchtete, weil ihre Geräusche im Haus den Tod eines Familienmitglieds ankündigten. Nicht zu übersehen ist auch in diesem Zusammenhang der Bezug zur bildenden Kunst: Die Erscheinung der Lemuren gleicht dem ebenfalls als Gerippe dargestellten mittelalterlichen Knochen- oder Sensenmann, wie man ihn beispielsweise aus Totentanz-Darstellungen kennt, aus Dürers Nit fursehen den dot, einer Illustration zu Sebastian Brants Narrenschiff, oder auch aus seiner Federzeichnung Jugend, Alter und Tod.
Der blinde Faust verkennt die Situation: Er glaubt den Lärm der Arbeit für sein Kanalprojekt zu vernehmen, tatsächlich hört er nur die Lemuren, die sein Grab schaufeln. Dennoch macht es wenig Sinn, die Lemuren mit den ausgebeuteten Arbeitern von Fausts Landgewinnungsprojekt in Verbindung zu bringen,24 und geradezu unsinnig mutet es an, dass die Lemuren im Rahmen marxistischer Betrachtung als gesellschaftliches Beispiel derer verstanden wurden, "die in die Widersprüchlichkeit ihrer Existenz gebannt" seien, als "ein poetisches Bild für ein in seiner menschlichen Entfaltung gehemmtes Menschengeschlecht."25 Im Rückblick auf das Ende des dritten Akts und im Vorblick auf "Bergschluchten" scheint es dagegen wichtig, dass es sich bei den Lemuren um "materialisierte" Geister von Verstorbenen handelt, um "Groteskfiguren"26 also, die auch in grotesker Weise fehl am Platz sind, denn [End Page 76] sie sind aus einer Kultur "entlehnt," von der sich die Welt des alten Faust längst entfernt hat, und als Repräsentanten einer obsolet gewordenen, vorchristlichen Vorstellungswelt passen sie auch nicht zu den ebenfalls unzeitgemäßen, nämlich mittelalterlichen oder barocken Teufelsscharen. Aber eben in diesem Synkretismus, in dieser grotesken Kombination heterogener Elemente, tritt, pa radoxerweise, dem Zuschauer ein Bedeutungsaspekt der Lemuren vor Augen: Als Totengeister gehören sie in jene die Kultur- bzw. die Religionsgeschichte reproduzierende Revue unterschiedlicher Jenseitsvorstellungen, die mit dem Entschwinden Helenas und der Auflösung ihres Chors einen besonders wichtigen Akzent erhält und mit Fausts so genann ter "Himmelfahrt" endet.
Erinnert sei hier auch daran, dass durch die Lemuren die intertextuelle Verbindung zu Shakespeares Hamlet hergestellt wird. Sie zitieren, wie man weiß, das Lied des Totengräbers aus dem fünften Akt von Hamlet und rufen damit eine nicht weniger groteske Szene in Erinnerung: Der Totengräber27 fördert beim Ausheben des Grabs für Ophelia den Schädel des Hofnarren Yorick zutage; Hamlet hebt diesen Schädel auf—die zahl reichen Gemälde von Hamlet mit dem Totenschädel gehören in die Tradition der Melancholie-Darstellungen—und reflektiert bei dieser Gelegenheit über die Vergänglichkeit irdischer Güter, über ein Thema also, das von Mephisto in dieser Szene gleich zweimal variiert wird:
Die Elemente sind mit uns verschworden,Und auf Vernichtung läufts hinaus.
(11549–50)
Was soll uns denn das ew'ge Schaffen,Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen?
(11598–99)
Der groteske Kampf von Hamlet und Laertes, die ins Grab hinab gestiegen sind, findet übrigens etwas später seinen Höhepunkt in der Verwünschung, die Laertes ausspricht: "The devil take thy soul!" Von größerem Gewicht ist aber wohl die über die Totengräberszene (1) vermittelte intertextuelle Verknüpfung mit Hamlets großem Monolog im dritten Akt (III,1), der "die Furcht vor etwas nach dem Tod" und das "unentdeckte Land, von des Bezirk / Kein Wandrer wiederkehrt"28 thematisiert und so als ergänzende Station in die Revue von Jenseitsvorstellungen, von Jenseitsängsten und Jenseitshoffnungen, eingebunden wird. Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch, dass der bis zuletzt rastlos tätige Faust, der alle Jenseits-Spekulationen von sich weist (11442–44) als Gegenbild des zaudernden und zweifelnden Melancholikers Hamlet verstanden werden kann.
III. Die Szenerie und das Schau-Spiel
Bei den Lemuren und den von Mephisto herbeigerufenen Teufelsscharen handelt es sich um Wesen, die traditionell als groteske Figuren gedacht und dargestellt werden, weil sie nämlich Un-wesen sind. In den Szenen "Großer Vorhof" und "Grablegung" ist ihr Un-wesen allerdings doppelter Art: Grotesk sind sie als Verkörperungen von Unkörperlichem, und überdies haben diese Verkörperungen "nur" den Status von Zitaten, insbesondere von Zitaten aus der bildenden Kunst. [End Page 77]
Ähnliches gilt vom Höllenrachen, den die "Herrn" von "altem Teufelsschrot" (11637–38) auf die Bühne schleppen. Das furchtbar Drohende ist hier zum Spiel-zeug geworden: ein Verfremdungseffekt Brecht'scher Manier avant la lettre, der, wie Albrecht Schöne und andere bemerken, die Theatralität und den Zitatcharakter der Szene verdeutlicht.29 Zitiert wird freilich nicht nur und nicht so sehr das spätmittelalterliche und barocke christliche Spiel, wenngleich dieses sich in der Tat—im Dienst der Kirche—der Darstellung von Hölle oder Höllenrachen als Mittel einer verängstigenden religiösen Erziehung bediente. Bei der einigermaßen aufgeklärten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts dürften diese Spiele weitgehend in Vergessenheit geraten sein, aber durchaus noch präsent war der Höllenrachen—und er ist es, anschaulich konservierte Geschichte, noch heute—als Motiv der religiösen Kunst. Seit dem frühen Mittelalter haben große und weniger große Künstler, die traditionelle Vorgabe immer neu variierend, das Unvorstellbare und unvorstellbar Schreckliche so erschreckend wie möglich—und also notwendigerweise grotesk—zur Darstellung gebracht, wobei bei diesen Darstellungen des Nicht-Darstellbaren freilich zuweilen ein Moment von Ironie durchzuschimmern scheint. Dem Höllenrachen—einer Vorstellung biblischen Ursprungs30—begegnet man in frühen Handschriften31 und Buchillustrationen,32 und von den Altären und von den Wänden ungezählter Kirchen prophezeit er den Ungläubigen und den Sündern ein schlimmes und nicht endendes Ende. Besonders eindrückliche Höllenrachen finden sich in Darstellungen der Höllenfahrt Christi und des Jüngsten Gerichts, etwa denjenigen von Fra Angelico in Florenz, von Pieter van der Heyden (nach Brueghel d.Ä.)33 oder von Albrecht Dürer;34 einprägsam, gerade auch unter dem Aspekt des Grotesken, ist Bruegels Die Dulle Griet. Auch in Werken von weniger bekannten Künstlern und an weniger bekannten Orten sind schlimme Höllenrachen zu sehen,35 und dort, wo die Aufklärung erfolglos geblieben ist, drohen faszinierende Höllenrachen auch noch auf Gemälden des 18. Jahrhunderts.36 Ein Höllenrachen, wie bei Fra Angelico in das oberste Segment der Welt der Hölle integriert, findet sich übrigens auch auf dem Kupferstich Il Giudizio Universale e l'Inferno aus der Bildmappe des schon erwähnten Lasinio, dessen Trionfo della Morte von zahlreichen Kommentatoren als Vorlage für diese Szenen bezeichnet wird. Die vorliegende Arbeit zielt allerdings nicht auf den Nachweis von Quellen, Anregungen oder Einflüssen, sondern will zeigen, dass Goethe als Autor der letzten Szenen zwar nicht im eigentlichen Sinn zum Maler, aber doch zum Bildgestalter wird, indem er die Bühne und das Bühnengeschehen als Bild oder als Bilderfolge und Bilderassemblage konzipiert. Nicht, dass ein bestimmtes einzelnes Werk nachgestellt würde; vielmehr verweist, was in Szene gesetzt und anschaulich wird, als ein Spiel mit Motiven aus der bildenden Kunst, mit "Motivkonzentraten," auf einige jener wichtigen Bildtraditionen, die während Jahrhunderten das religiöse Denken und die kulturelle Performanz (mit-)geprägt haben. Was Mephisto in diesem Zusammenhang zu sagen hat, ist denn auch nicht konstitutiv für eine allenfalls dramatische Handlungsprogression, sondern, wie schon beim Auftreten der Lemuren und der Teufelsscharen, Kommentar zu dem, was die Bühne den Betrachtenden bietet, eine Bildbeschreibung also, darauf angelegt, dass Leser oder Hörer sich auch jene zur Bildtradition des Höllenrachens [End Page 78] gehörenden Details imaginieren, die auf der Bühne nicht oder nicht deutlich gezeigt werden können:
Eckzähne klaffen; dem Gewölb des SchlundesEntquillt der Feuerstrom in Wut,Und in dem Siedequalm des HintergrundesSeh ich die Flammenstadt in ewiger Glut.Die rote Brandung schlägt hervor bis an die Zähne,Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an;Doch kolossal zerknirscht sie die HyäneUnd sie erneuen ängstlich heiße Bahn.In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!
(11644–53)
Schon Georg Witkowski hat in seinem Kommentar37 festgehalten, dass die "Flammenstadt in ewiger Glut" als Verweis auf Dantes Höllenstadt Dis im 8. Gesang gelesen werden kann. Im hier gegebenen Zusammenhang ist es allerdings wichtig, dass es sich dabei nicht nur um einen intertextuellen, sondern auch um einen intermedialen Verweis handelt: Dantes Beschreibung von Dis hat in der bildenden Kunst mehrfachen Niederschlag gefunden. Mephistos Erwähnung der Flammenstadt ruft deshalb nicht nur den entsprechenden Gesang aus der Commedia, sondern auch die von ihm ausgehende Motivtradition in der Malerei in Erinnerung; die brennende Höllenstadt auf dem sog. Heuwagen-Triptychon von Hieronymus Bosch ist dafür wohl eines der eindrücklichsten Beispiele.
IV. Komprimierte Narration
Grotesk sind Szenenbild und Szenengeschehen von "Großer Vorhof" und "Grablegung" allerdings nicht erst, wenn der Höllenrachen auf die Bühne gezogen wird. Grotesk ist vielmehr schon deren Anlage: Die Lemuren schaufeln das Grab nämlich nicht wie die Clowns von Shakespeare auf dem Friedhof, sondern da, wo ein Grab in grotesker Weise ganz und gar fehl am Platz ist, nämlich im "Vorhof des Palasts," da also, wo, wenn man realistisch argumentieren wollte, die Wagen vorfahren, Gäste empfangen werden, wo die Front des Palasts den Ankommenden und Vorübergehenden den Status des Besitzers signalisiert. Und damit nicht genug: Während man für gewöhnlich davon ausgeht, dass zwischen dem Ort des Sterbens und dem Grab eine räumliche, zwischen dem Sterben und Begrabenwerden eine zeitliche Distanz besteht, stirbt Faust nach seinen letzten Worten unter dem Portal gewissermaßen unmittelbar ins Grab hinein oder, genauer, am Grab, und dies geschieht in buchstäblich spektakulärer Weise, als Schau-Spiel, als einprägsames Bild bzw. wiederum als Bildzitat: Er "sinkt zurück, die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den Boden" (vor 11587). Unübersehbar wird so unter Mephistos Anleitung eine Blasphemie inszeniert: Das Bild des von den Lemuren aufgefangenen toten Faust wird erkennbar als eine Art Überblendung der Grablegung Christi, wie sie von ungezählten Künstlern und in besonders einprägsamer Weise von Raffael, von Dürer und auch von Caravaggio gestaltet wurde. Verdeutlicht wird Mephistos Blasphemie durch den anschließenden Wortstreit "vollbracht [End Page 79] … vorbei" (11596–97), bei dem Mephisto die letzten Worte Jesu zitiert "Es ist vollbracht" (Joh 19,30), und, jedenfalls für die Lesenden, durch den folgenden Szenentitel: Von "Grablegung," einer Bezeichnung aus der bildenden Kunst, ist sonst nur in Bezug auf Darstellungen aus der Passionsgeschichte die Rede.
Eine Inszenierung, die zeitlich und räumlich Entferntes simultan zur Anschauung bringt, verstößt, buchstäblich augenfällig, gegen die Regeln der bei aller Stilisierung doch auf Mimesis bzw. auf "Natürlichkeit" ausgerichteten Dramaturgie des 18. Jahrhunderts, und Ähnliches ist denn auch bei keinem "Klassiker" zu finden. Sie entspricht aber einem Darstellungsprinzip, das in einer anderen Kunstgattung, nämlich in der bildenden Kunst, und in anderen Zeiten häufig anzutreffen ist: Räumlich und/oder zeitlich Entferntes wird zu einem einzigen Bild komponiert und komprimiert. Frühe Beispiele dieses so genannten "Simultanstils" finden sich schon in der archaischen Kunst.38 In der Malerei des Mittelalters und der Renaissance—vornehmlich, aber nicht ausschließlich, in der religiösen Malerei—war dieses Darstellungsprinzip gang und gäbe, und in der Malerei des 18. Jahrhunderts wird es erneut aufgegriffen.
Zu den berühmtesten Beispielen des Simultanstils aus der Zeit der Renaissance gehört wohl Masaccios Gemälde Der Zinsgroschen (Math 17, 24–27).39 In der Mitte des Bildes gibt Christus Petrus die Anweisung zum Fischfang, links sieht man Petrus am Wasser beim Fischfang, und rechts übergibt Petrus dem Einnehmer den Zinsgroschen, den er im Maul des Fisches gefunden hat. In Michelangelos Paradiesdarstellung in der Sixtinischen Kapelle und auch in derjenigen von Lucas Cranach werden die wichtigen Phasen von der Erschaffung des Menschen über die Verführung bis zur Vertreibung in ein einziges Gemälde komprimiert. Das gleiche Darstellungsprinzip ist zuweilen auch in der profanen narrativen Malerei bestimmend. Ein Fresco von Francesco del Cossa zeigt beispielsweise im Vordergrund den Aufbruch einer Jagdgesellschaft, im Hintergrund dieselbe Gesellschaft während der Jagd.40 Dass diese Darstellungspraxis, durch die das geschichtliche Nacheinander in die Simultaneität komprimiert wird, im 18. Jahrhundert wieder auflebt, erläutert Werner Hofmann, der allerdings nicht von "Simultanstil," sondern von "Polyfokalität" spricht,41 anhand von Jacques-Louis Davids Schwur der Horatier, einem Gemälde, das drei Stadien einer Geschichte in einer pathetischen Komposition vereinigt.42
Seit Georg Dehios grundlegendem Aufsatz "Alt-italienische Gemälde als Quelle zum Faust"43 von 1886, der, wie es der Titel sagt und wie es dem Stand der Philologie seiner Zeit entsprach, ganz auf Quellenforschung ausgerichtet war, weisen die meisten Kommentare darauf hin, dass der Kupferstich Il Trionfo della Morte aus Lasinios Bildband Goethe als "Vorlage"44 gedient habe. Dass Goethe sich durch Lasinios Kupferstich zu seiner Komposition anregen oder in seiner Konzeption bestärken ließ, ist durchaus möglich, die thematischen Übereinstimmungen zwischen der Nachzeichnung des Frescos im Campo Santo und der Szene "Grablegung" sind allerdings weder zahlreich noch besonders augenfällig.45 Was bei einem Vergleich von Szene und Bild an thematischer Übereinstimmung bleibt, ist der Streit von Engeln und Teufeln, wobei es im Gemälde allerdings, dem Titel entsprechend, um eine Vielzahl von Seelen geht. Zur Durchführung des Themas "Streit von [End Page 80] Engel und Teufel um die Seele eines Verstorbenen" bedurfte Goethe allerdings keiner spezifischen Vorlage; es war in der religiösen Kunst so verbreitet, dass man ihm auf Schritt und Tritt begegnen konnte, ja begegnen musste und noch heute begegnen kann. Besonders eindrücklich streiten Engel und Teufel beispielsweise in Luca Signorellis monumentalem Werk im Dom von Orvieto. Erwähnung verdient im hier gegebenen Zusammenhang aber auch Lucas Cranachs Gemälde Der Sterbende, gehört es doch zu den altdeutschen in Leipzig entdeckten Kunstschätzen, die Goethe selbst beschrieben hat: "Unten liegt der Sterbende, dem die letzte Ölung erteilt wird.… Über dem Sterbenden erhebt sich dessen Seele, welche sich auf der einen Seite, von Teufeln, ihre Sünden vorgehalten sieht, auf der andern von Engeln Vergebung vernimmt.…"46 Goethe, der das Bild damals erst aus einer schriftlichen Mitteilung gekannt haben soll,47 verzichtet auf "eine weitläufige Beschreibung"; ausgerechnet zwei Motive, die in den letzten Szenen von Faust bildhaft wiederkehren, erwähnt er nicht: rechts neben dem Sterbenden ist ein furchtbar geöffneter Höllenschlund zu sehen und im oberen Halbrund schwebt eine Madonna.
V. Kunsterfahrung und dramatische Anschaulichkeit
Fragt man, wie es in der traditionellen Quellen- und Einflussforschung üblich ist, nach einer Vorlage für die Szene "Grablegung," so ist die Bedeutung von Il Trionfo della Morte unter thematischem Aspekt wohl recht beschränkt. Aber eine stärkere Gewichtung dieses Kupferstichs und weiterer Blätter aus der Lasinio-Mappe drängt sich auf, wenn man die Darstellungspraxis ins Auge fasst. Die in den Kommentaren so oft erwähnten Blätter Il Trionfo della Morte und Gli Anacoreti nalla Tebaide können nämlich geradezu als Musterbeispiele des Simultanstils gelten.48 Und auch auf anderen Reproduktionen der Gemälde im Campo Santo wird jeweils historisch oder dem Status nach Entferntes zu einer kompositorischen Einheit komprimiert.49
Goethe erwähnt "das Kupferwerk vom Campo Santo in Pisa" in den Notizen zum Jahr 1818,50 aber mit der Simultaneisierung einer Narration und der ihrem Wesen nach ebenfalls grotesken Zusammenführung von Heiligem und Profanem, Imaginärem und Mimetischem in Werken der bildenden Kunst hat sich Goethe schon einige Jahre früher befasst. Die Verbreitung und die Bedeutung der heute unter den Begriffen "Simultanstil" und "Polyfokalität" diskutierten Darstellungspraxis muss ihm—sieht man einmal ab von seinen unmittelbaren Begegnungen mit dem italienischen Kunstschaffen—vor allem in Gesprächen mit Heinrich Meyer, seinem Freund und engsten Vertrauten in Kunstfragen, und in Auseinandersetzungen mit Sulpiz Boisserée bewusst geworden sein.
Beachtung verdient in diesem Zusammenhang insbesondere die Nachdrücklichkeit, mit der Heinrich Meyer auf Raffaels Verklärung Christi hingewiesen hat. Es handelt sich bei diesem Gemälde um das letzte von Raffael selbst vollendete Werk, und Meyer versichert, dass es durch eine Vielzahl von Kupferstichen ungewöhnliche Bekanntheit erlangt habe.51 In der Weise des Simultanstils fügt Raffael räumlich und zeitlich Auseinanderliegendes—die [End Page 81] Verklärung einerseits und die Heilung des besessenen Knaben andererseits—zu einer kompositorischen Einheit zusammen. Explizit im Blick auf diese komprimierende Darstellungspraxis äußert sich Meyer schon 1808 in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung: Unter dem von ihm und Goethe gemeinsam gebrauchten Kürzel "WKF" (Weimarer Kunstfreunde) kritisiert er zwar Poussin, der "zum Zweck grösserer Deutlichkeit" zwei Handlungen in einem Bild vereine, aber ausdrücklich billigt er, dass der große Raffael in der Verklärung Christi zwei aufeinander folgende Handlungen in eine Darstellung zusammenrücke.52 Als "Krone seiner Kunst" bezeichnet Meyer dieses Werk Raffaels sodann in seiner Geschichte der Kunst,53 die zwar zu seinen Lebzeiten nicht publiziert wurde, an deren Entstehung Goethe aber, wie man aus dem Briefwechsel erkennen kann, regelmäßig und engagiert Anteil nahm. Dass Goethe die Besonderheit des Simultanstils wahrgenommen hat, zeigt sich auch 1815 in seiner eigenen Beschreibung von Cranachs Allegorie der Erlösung, einem Gemälde, das die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies mit der Passionsgeschichte Jesu zu einer vielgestaltigen, aber das Vielgestaltige integrierenden Komposition zusammenfasst.54 Das Gemälde gilt als Grundlage für das Altarbild in der Stadtkirche Weimar, das—oder dessen Fertigstellung—dem jüngeren Cranach zugeschrieben wird. Diesem Altarbild, das ebenfalls viele biblische Szenen zu einer Komposition zusammenfügt, hat Heinrich Meyer schon 1813 eine ausführliche Beschreibung in Folio gewidmet: Ueber die Altargemälde von Lucas Cranach in der Stadtkirche zu Weimar.
Mit Boisserée hat sich Goethe sowohl mündlich wie schriftlich mehrfach über die angemessene Beschreibung einer simultaneisierenden, narrativen Komposition, wie beispielsweise Memlings Szenen aus dem Leben der Maria, auseinandergesetzt. Boisserée notiert anlässlich einer Begegnung mit Goethe im September 1815 in seinem Tagebuch: "Meine Beschreibung des Hemmelinck gefällt ihm nicht, sie ist nicht recht, muß mit den Drei Königen auf den Bergen anfangen."55 Und Goethe mahnt, etwas herablassend, in seinem Brief an Boisserée vom 17. April 1817: "[H]ier muß wohl überlegt werden, wie dasjenige, was nebeneinander vor unsern Augen steht, in einer Wortfolge wieder lebendig werden könne. Zu dieser Kunst des Darstellens gehört freilich ein eigenes Naturell.…"56
In der an Lessings Laokoon erinnernden Auseinandersetzung mit Boisserée geht es allerdings um die Frage, wie die in die Simultaneität des Gemäldes komprimierte Narration angemessen in das sprachliche Nacheinander rückübersetzt werden kann. Aber sie bezeugt immerhin, dass Goethe sich mit der Besonderheit des Simultanstils in der bildenden Kunst auseinandergesetzt hat. Dass er sich zwischen 1815 und 1820 mit der Frage befasst hat, wie sein Faust zu endigen sei, zeigen unter anderem ebenfalls Boisserées Aufzeichnungen; ungewiss ist aber, ob Goethe damals schon im Blick auf die letzten Szenen von Faust die Möglichkeiten erwogen hat, das Darstellungsprinzip der Simultaneisierung aus der bildenden Kunst ins Literarische zu übertragen, also die dramatische Sequenz zu Gunsten einer bildhaften Gegenwärtigkeit des räumlich, zeitlich und/oder dem Status nach Entfernten zu reduzieren. Zeugnisse aus der Entstehungsgeschichte von Faust lassen eher vermuten, dass die auf Bildhaftigkeit und Simultaneität ausgerichtete Konzeption für die [End Page 82] letzten Szenen erst im Laufe ihrer Ausarbeitung bestimmend wurde, denn in Entwürfen zu den Schluss-Szenen hatte Goethe noch deutlich mehr Gewicht auf den Handlungsverlauf gelegt und diesen genauer spezifiziert und gegliedert. In einem eigenhändigen Schema hatte er notiert: "Lemuren legen ihn ins Grab / Ziehen sich zurück / … / Seele entflieht."57 Der Text der Reinschrift bzw. der Ausgabe letzter Hand ist demgegenüber auffallend zurückhaltend: Kein gesprochener Vers und keine Bühnenanweisung verrät, wie und wann die Leiche ins Grab gelegt wird; nur aus dem Befehl, den Mephistos später an seine Teufel richtet—"Ans Grab heran …!"(V. 11698)—kann man schließen, dass die "Grablegung" erfolgt ist, und aus dem Text ist auch nicht zu erfahren, dass sich bzw. wann sich die Lemuren zurückziehen. Nicht auf das bühnenübliche, folgerichtige Agieren wird in der endgültigen Fassung Gewicht gelegt, sondern auf die vergleichsweise statische Szenenkomposition: Als Neben-, Nach- und Ineinander von Bildzitaten prägt sie sich ein. Die grotesk unmittelbare Nachbarschaft von Palast und Grab erweist sich so auch als visuelle Metonymie für die Nähe von Macht und Wohlleben einerseits und Hinfälligkeit andererseits, als Veranschaulichung von Mephistos zweifachem Kommentar:
Aus dem Palast ins enge Haus,So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
(11529–30)
Die Elemente sind mit uns verschworen,Und auf Vernichtung läufts hinaus.
(11550)
Grotesk im Sinne der Konfrontation von Heterogenem ist übrigens auch die Wechselrede zwischen Engelschor und Mephisto, die den grotesken Höhepunkt der Szene, Mephistos homoerotische Verliebtheit und die Rettung von Fausts Unsterblichem vorbereitet: Die naiv zweitaktigen Verse der Engel mit ihrer verqueren oder hochstilisierten Syntax, die von manchen Interpreten für tiefsinnig, von anderen für komisch gehalten werden, reagieren auf die jeweils vorangegangenen Worte Mephistos. Mephisto spricht von den "Waffen" der Engel (11695), diese reden von den Rosen, die sie streuen; jener beklagt sich über die Rosen, die ihm "wie Pech und Schwefel … im Nacken" sitzen, diese kommentieren: "Was euch nicht angehört / Müsset ihr meiden"; und wenn jener in Entzücken gerät, weil sich die Engel "wenden" (11799), so nehmen die Engel auch dieses Wort auf: "Wendet zur Klarheit/Euch.…" (11801); Mephisto redet von den ausgebrannten "verruchten Flammen" (11815), die Engel halten "Heilige Gluten" dagegen: "Wen sie umschweben / Fühlt sich im Leben" (11817–19).
Dass die Szene "Grablegung" als ganze ein vielfach variiertes Motiv aus der religiösen Kunst aufruft, den Streit zwischen Engel und Teufel um die Seele, ist nicht zu übersehen. Aber auch im Detail wird dieser Streit nicht nur verbal, sondern augenfällig, nämlich im Medium Bild, ausgetragen; genauer: er wird als eine Bilderfolge mit Zitatcharakter visualisiert. Nachdem bei Fackelschein in dunkler Nacht die Teufel ihre Position bezogen haben, ist es zuerst die "Glorie," die als erstrahlendes Licht den Antagonismus sichtbar macht—ein Beleuchtungseffekt also, wie ihn Taddeo Gaddi in seiner Verkündigung an die Hirten58 für den ebenfalls "von oben, rechts" (vor [End Page 83] 11676) nahenden Engel zukunftsweisend realisiert hat. Sodann wird durch die Präsenz der Engelsschar, die "[v]on oben" (11686) eingezogen ist, deren Sieg augenfällig, da sie "umherziehend, den ganzen Raum" einnimmt und Mephisto ins Proszenium abgedrängt hat. Mehrfach wird die Bildhaftigkeit, wie schon beim Auftritt der Lemuren und der Teufel, durch Mephistos Kommentar verdeutlicht: Er beschreibt, was zu sehen ist, den lichtvollen Eintritt der Engel (11684–93) und ihre "Blümeleien" (11713), das Ducken und Zucken der Teufel (11710), deren Ermüdung (11724) und Rückzug (11736–38) und schließlich auch die verführerische Wendung der Engel, die nun "[v]on hinten anzusehen" sind (11799). Und wie schon in vorangegangenen Szenenteilen bringt Mephisto Details zur Sprache—etwa die schrumpfenden, brennenden Rosen—, die dem jeweiligen Bild ergänzend einzufügen sind. Mephistos Kommentar verdeut licht, dass das Bühnengeschehen, nicht völlig verschieden von einem tableau vivant, mehrfach zu einem mehr oder weniger unbewegten Bild eingefroren werden sollte.
Übrigens bedient sich Goethe am Schluss der Szene eines dramaturgischen Tricks, den er in der Apfelschussszene von Schillers Wilhelm Tell beobachtet haben mag: Abgelenkt von dem, worauf es eigentlich ankommt, wird nicht nur der von den appetitlichen Rackern entzückte Mephisto; abgelenkt werden durch eben dieses Entzücken und das darauf folgende "hiobsartig[e]" (11809) Leiden Mephistos auch wir, die Zuschauenden. Auch wir haben nicht bemerkt, wann und wie sich "Faustens Unsterbliches" (vor 11824) vom Körper gelöst hat. Zeuge werden wir nur davon, dass es—wiederum ein Bildzitat—himmelwärts "entführt" (vor 11825)—später wird es heißen "getragen" (vor 11934)—wird: in beiden Fällen insofern eine groteske Anweisung bzw. ein groteskes Bild, als hier das seinem Wesen nach Unfassbare als fassbar zur Erscheinung kommt, dem ganz und gar Unkörperlichen eine sichtbare Körperlichkeit verliehen wird. Um es mit den Worten des Kommentators von Lasinios Kupfer zu sagen: Das Unsterbliche zeigt sich uns hier "personificat[o] e raffigurat[o] sotto forma corporea," wie es die "bizzarra fantasia" der Maler vorgegeben hat.59
Anmerkungen
1. Beide zitieren zur Charakterisierung von "Bergschluchten" diesen Titel aus dem West-Östlichen Divan. Emil Staiger, Goethe, Bd. 3:1814–32 (Zürich: Artemis, 1959) 465; Albrecht Schöne in FA 1.7.2:765.
2. Siehe zu diesen Zuordnungen z.B. Karl Eibl, Das monumentale Ich—Wege zu Goethes "Faust" (Frankfurt am Main, Leipzig: Insel, 2000) 22–27; Ulrich Gaier, Johann Wolfgang Goethe. Faust-Dichtungen, Bd. 3, Kommentar II, (Stuttgart: Reclam, 1999) 141; Jochen Schmidt, Goethes "Faust," Erster und Zweiter Teil. Grundlagen—Werk—Wirkung, 2. Aufl. (München: Beck, 2001) 285–87; Schöne in FA 1.7.2:764–67.
3. Konrad Burdach, "Die Schluß-Szene in Goethes Faust," Sitzungsberichte d. Königl. Preuß. Akad. d. Wiss., Philol.-hist. Klasse, (Berlin 1931) 585–604. [End Page 84]
4. Problematisch scheint mir insbesondere die methodologische Wendung ins Biographische, die manche Interpreten für angemessen oder unumgänglich halten. Vgl. dazu Johannes Anderegg, "Schöpfungslob und Himmelfahrt," Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (2007): 171–97.
5. Schöne in FA 1.7.2:765.
6. Erich Trunz in HA 3:623.
7. Weimarisches Hoftheater, FA 1.18:849.
8. Justus Möser, Harlekin, hrsg. von H. Boetius (Bad Homburg, Berlin, Zürich: Gehlen, 1968), (Ars poetica, Texte Bd. 4) 33.
9. An Schiller am 27. Juni 1797 und am 28/29. April 1798 (MA 8.1:364, 561).
10. Grotesk im Sinne der ins Fratzenhafte ausgreifenden heteronomen Gestalt, der "Mischung von menschlichen und tierischen Zügen." Vgl. Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, hrsg. v. Renate Lachmann (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987) 357.
11. Carlo Lasinio, Pitture a Fresco del Campo Santo di Pisa (Florenz: Bernardini, 1822). Schon seit 1812 waren einzelne Blätter dieser Sammlung in Umlauf. Eine zweite Auflage erschien 1841. In einer weitgehend identischen Ausgabe von 1832 sind die Blätter seltsamerweise von Paolo Lasinio, also dem Sohn, signiert.—Joachim Poeschke vertritt in einer 2003 erschienenen Monographie die Auffassung, dass alle drei im hier gegebenen Kontext wichtigen, den Kupferstichen des Lasinio zugrunde liegenden Wandgemälde Il Trionfo della Morte, Gli Anachoreti und Il Giudizio universale e l'Inferno Buonamico Buffalmacco zuzuschreiben seien. Vgl. Joachim Poeschke, Wandmalereien der Giottozeit in Italien 1280–1400 (München: Hirmer, 2003) 320–21. Um Verwirrungen zu vermeiden, halte ich mich im Folgenden aber an die Zuweisungen, die der Kommentar in den mir zugänglichen Ausgaben von 1832 und 1841 vornimmt.
12. Alle Zitate aus Faust nach FA 1.7.1.
13. Man erinnert sich bei dieser Beschreibung wohl auch der methodologisch etwas fragwürdigen, im hier gegebenen Zusammenhang aber instruktiven Bemerkung Wolfgang Kaysers, wonach die Fledermaus das groteske Tier par excellence sei. Wolfgang Kayser, Das Groteske: Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (Nachdruck der Ausgabe von 1957) (Tübingen: Stauffenburg, 2004) 197.
14. Bachtin (Anm. 10) 357ff.
15. In vielen Inszenierungen, auch in derjenigen von Peter Stein 2000/2002, werden Mephisto allerdings mehr oder weniger diskrete Teufelshörnchen oder -höckerchen aufgesetzt, wohl als eindeutiges Identifikationsmerkmal für die Zuschauenden.
16. Die meisten Kommentare erinnern an dieser Stelle daran, dass die Bezeichnung "Flügelmann" aus dem Militärischen komme; das ist zwar richtig, aber der Flügelmann exerziert nicht vor, wie da und dort behauptet wird, er ist, wie dies z.B. Trunz (HA 3:624) und Gaier (Anm. 2) Kommentar I, 2:1110 richtig sehen, schlicht der, nach dem sich die Soldaten einer Formation beim Antreten oder bei Marschübungen auszurichten haben; davon abgeleitet ist "Flügelmann" im 18. Jahrhundert und bei Goethe üblich als Bezeichnung für einen, der den Ton angibt oder die Richtung bestimmt.
17. Die Allegorie ist, wie Heinz Schlaffer betont, eine "Kombination inhomogener Teile," insofern sie "Wissen zu repräsentieren" hat, "das nicht in Handlungen und Charaktere aufgelöst werden kann oder soll." Vgl. Heinz Schlaffer, "Faust" Zweiter Teil, Die Allegorie des 19. Jahrhunderts, 2. Aufl. (Stuttgart, Weimar: Metzler, 1998) 125. Dem Grotesken wird man die Allegorie, die ja auf Konvention beruht, aber nicht [End Page 85] zurechnen, da zum Grotesken das Unerwartete, die Abweichung von Norm oder Regel gehört. Wo allerdings ein Konflikt entsteht zwischen der abstrakten Bedeutung und ihrer physischen Repräsentation—wenn beispielsweise die Caritas eines ihrer Kinder schlägt, die Justitia einem Angeklagten zublinzelt oder eben Mephisto sich in Engel verliebt—, so wird eine komische Wirkung erzielt, die man jedenfalls dann dem Grotesk-Komischen zurechnen kann, wenn man bereit ist, den Begriff des Grotesken so weit auszudehnen, dass er sich nicht nur auf Heterogenes in der Erscheinung bezieht, sondern auch auf Heterogenität zwischen der abstrakten Bedeutung und der physischen Erscheinung.
Zur Emanzipation der Körperlichkeit gegenüber der zu verkörpernden Allegorie vgl. auch Stefan Matuschek, "Goethes Faust, Von der Leichtigkeit der letzten Dinge," Poetica 31 (1999): 452–61, insbesondere—mit Bezug auf Euphorion — 460.
18. Im Entwurf hieß es noch "Aus Bändern, Sehnen.…" Vgl. dazu den ausführlichen Bericht von Schöne in FA 1.7.2:756.
19. FA 1.19:603ff.
20. Gotthold E. Lessing, Werke, hrsg. von H. G. Göpfert, (München: Hanser, 1974) 6:452.
21. Ludovico Lavatero, De Spectris, Lemuribus et magnis atque insolitis fragoribus … / Apud Ioannem Crispinum, o.O., o.J. (Genf 1569) 3ff., 233–34. Goethes Vater besass die (lateinische) Ausgabe Genf 1580. In der ziemlich stark veränderten deutschen Ausgabe von 1670—Schriftmässiger Bericht von Gespenstern, Nachtgeistern, mancherley wundersamen Erscheinungen … (Zürich: Bodmer, 1670)—fehlt ausgerechnet eine Übersetzung des ersten Kapitels "De vocabulis quae in materia de spectris … saepe occurrunt." Möglicherweise klang das für das protestantische Zürich des 17. Jahrhunderts doch allzu heidnisch.
22. Staiger (Anm. 1) 443.
23. MA 18.1:1127.
24. Vgl. Gaier (Anm. 2) Kommentar I, 2:1093.
25. Brunhild Neuland, "Faust, die drei Gewaltigen und die Lemuren. Zur Beziehung von Mythos und Geschichte in Faust II," Ansichten der deutschen Klassik, hrsg. von Helmut Brandt, Manfred Beyer (Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1981) 294–96.
26. Gaier: (Anm. 2), Kommentar I, 2:1094.
27. Bei Shakespeare wird der Totengräber als "clown" bezeichnet, und bekanntlich dialogisiert er nach Narrenart.
28. William Shakespeare, Werke, Englisch und Deutsch, hrsg. von L.L. Schücking, Bd. IV (Berlin, Darmstadt: Tempel, 1955) 122.
29. FA 1.7.2:769.
30. Vgl. insbesondere Jes. 5:14.
31. So z.B. auf einer Miniatur aus dem Psalter von Winchester um 1150, in der Handschrift MI 138 der Universität Salzburg von 1443, und ebenso in einer elsässischen Handschrift von 1418 der Universität Heidelberg.
32. So z.B. im Stundenbuch der Katharina von Kleve (um 1440). Nicht selten wird der Höllenrachen auch polemisch eingesetzt, z.B. in einem Holzschnitt von Lucas Cranach d.Ä., auf dem, in Anlehnung an Bilder des Jüngsten Gerichts, Luther in der Bildmitte zwischen denen steht, die sich um den Gekreuzigten scharen, und den Päpstlichen, die in der rechten Bildhälfte vom Höllenrachen verschlungen werden. In einer Abbildung in Luthers Schrift Wider das Bapstum zu Rom von 1545 wird der Papst selbst von Teufeln in den Höllenrachen gestoßen. [End Page 86]
33. Dieses und zahlreiche weitere Beispiele finden sich in: Martin Zlatohlávek, Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling: Das Jüngste Gericht: Fresken, Bilder und Gemälde (Zürich, Düsseldorf: Benziger, 2001) 174 et passim.
34. Siehe z.B. Dürers Kleine Passion.
35. Zum Beispiel in der Peterskirche von Weilheim oder in der Friedhofkappelle von Steinach am Brenner.
36. Das Jüngste Gericht in der Totenkapelle der Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt in Amras/Innsbruck sei hier als eindrückliches Beispiel genannt; seine Details glaubt man in Mephistos Beschreibung (V.11644–50) wieder zu erkennen, wenn er von den Zähnen, der Brandung des Feuerstroms und den verlorenen Schwimmern in der Feuerbrandung spricht.
37. Goethes "Faust," hrsg. von Georg Witkowski, 2.Bd., Kommentar und Erläuterungen (Leipzig: M. Hesse, 1906).
38. Vgl. Kurt Weitzmann, Illustrations in Roll and Codex: A Study of the Origin and Method of Text Illustration (Princeton: 1970) 13–14.
39. Es scheint mir in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass Giorgio Vasari in seinen Lebensbeschreibungen, die Goethe kannte und schätzte, dieses Werk Masaccios seines Realismus wegen nachdrücklich lobt, ohne im geringsten sich daran zu stossen, dass die Komposition, die drei Etappen der Geschichte vereinigt, alles andere ist als realistisch.
40. Im Palazzo Schifanoia zu Ferrara. Eine Wiedergabe findet sich z.B. in Die Renaissance, hrsg. von Deys Hay (München, Zürich: Droemer Knauer, 1968) 56.
41. Werner Hofmann, Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830 (München: Beck, 1995). Es liegt auf der Hand, dass Hofmanns Begriff "Polyfokalität" sich nicht in allen Aspekten mit dem des "Simultanstils" deckt. Die kunsttheoretischen Differenzen scheinen mir aber an dieser Stelle meiner Argumentation nicht relevant.
42. Im Blick auf die abschließende Szene "Bergschluchten," die hier allerdings nicht diskutiert werden kann, ist überdies auf die verwandte, wenngleich weniger augenfällige Komprimierung in Andachts- und Altargemälden, die nicht primär narrativen Charakter haben, hinzuweisen. Heterogenes—Biblisches und Geschichtliches, Irdisches und Überirdisches—wird in eine für das Auge bruchlose Einheit gebracht: Ungezählte Gemälde zeigen beispielsweise die erhöht thronende Gottesmutter umgeben von Märtyrern und Heiligen, zu denen sich oft auch Kirchenväter und andere historische Personen gesellen. In Raffaels Disputa, um ein weithin bekanntes Gemälde zu nennen, werden Gott, Christus, Heilige, Märtyrer und Patriarchen in einer alle umfassenden Komposition vergegenwärtigt.
43. Georg Dehio, "Alt-italienische Gemälde als Quelle zum Faust," Goethe-Jahrbuch 7 (1886): 251–64.
44. So z.B. Schöne FA 1.7.2:764.
45. Im unteren Bildteil des Kupferstichs wird links die Legende von der Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten variierend illustriert: Eine Reitergesellschaft stößt auf Tote in offenen Särgen. Rechts vergnügt sich, paradiesisch anmutend, eine unbeschwerte Gesellschaft, aber gerade gegen sie richtet der in dieser Bildhälfte dominierende Tod—hier übrigens ein Tod in weiblicher Gestalt—seine Sense, während eine Gruppe von Bettlern und Versehrten in der Mitte am unteren Bildrand offenbar vergeblich den Tod erfleht. Rechts neben ihnen liegen Tote oder Sterbende, und als kleine Menschlein dargestellte Seelen verlassen ihre Körper. In der obern Bildhälfte streiten Teufel und Engel, wie man dies vor allem aus vielen Darstellungen des Jüngsten Gerichts kennt, um die Seelen der Verstorbenen; einige werden durch [End Page 87] Engel gerettet, andere auf hohem Felsen von Teufeln in kleine, vulkanartige Krater gestoßen, aus denen zwar Flammen emporzüngeln, die aber keinerlei Ähnlichkeit mit dem traditionellen Höllenrachen haben. Auch sind auf dem Kupferstich Teufel verschiedener Art zu sehen, gehörnte und ungehörnte, bocksbeinige und krallenfüßige, mit Spießen bewaffnete und unbewaffnete, aber eine spezifische Unterscheidung von "Dickteufeln" und "Dürrteufeln" vom "kurzen, graden" oder "langen, krummen Horne" (vor 11656 und vor 11670) ist dort nicht zu erkennen.
46. Nachricht von altdeutschen in Leipzig entdeckten Kunstschätzen, erschienen 1815 im Morgenblatt für gebildete Stände, FA 1.19:662–65, hier 664–65.
47. Siehe dazu den Kommentar FA 1.19:914.
48. Goethe kannte übrigens aus Franz Sternbalds Wanderungen eine Beschreibung dieses Gemäldes. Unter dem Stichwort allegorischer Darstellung wird die simultaneisierende Komposition von Rudolph, einer Romanfigur, recht phantasievoll nacherzählt, wobei allerdings ausgerechnet der das Gemälde dominierende Kampf von Engeln und Teufeln nicht zur Sprache kommt. In der 1. Auflage von Tiecks Franz Sternbald Wanderungen findet sich die Passage im zweiten Teil, im 6. Kapitel des 1. Buchs, in der Fassung von 1843 dagegen im 8. Kapitel des 3. Buchs.
49. So erkennt man auf einem Bild der dem Heiligen Rainer gewidmeten Gemäldefolge San Ranieri gleich mehrmals in verschiedenen Situationen, in denen er zu verschiedenen Zeiten Wunder vollbracht hat, übrigens jeweils in Begleitung des Teufels als eines Versuchers. Und auf Passaggio del Mar Rosso, La morte di Abele, auf La Creatione und Le Sventure di Giobbe sind ähnliche räumliche und/oder zeitliche Komprimierungen zu finden.
50. Tag und Jahres-Hefte, FA 1.17:298.
51. Johann Heinrich Meyer, Geschichte der Kunst (Weimar: Böhlaus Nachfolger, 1974) 269.
52. FA 1.19:364–65.
53. Meyer (Anm. 51) 193.
54. Nachricht von altdeutschen … Kunstschätzen (Anm. 46) 664–65.
55. FA 2.7:509–10., vgl. auch GA 22:829.
56. WA 4.28:62.
57. Paralipomenon HP 195, FA 1.7.1:731.
58. Taddeo Gaddis Verkündigung an die Hirten (S. Croce, Florenz) wird von Meyer in seiner Kunstgeschichte ausdrücklich erwähnt. Vgl. Meyer (Anm. 51) 133.
59. Kommentar in Lasinio (Anm. 11) 19. Der Maler habe mit bizarrer Phantasie die Seelen der Toten durch Verleihung von Körperlichkeit personifiziert und versinnbildlicht. [End Page 88]